Jacques (Jacquy) Ph. Neukomm

Plastiker, Zeichner und Gestalter

von Madeleine Schüpfer

Leidenschaft des ganzheitlichen Tuns

Jacquy Neukomm ist ein vielseitiger Künstler. Er liess sich in Hannover bei Helmut Rogge zum Bildhauer ausbilden, besitzt aber gleichzeitig eine leidenschaftliche Liebe zum leichten Strich, zur Zeichnung und damit verbunden auch zur Grafik. Während rund 20 Jahren unterrichtete er an den AHB-Technikerschulen HF HOLZ, im Holzbau, in Biel. Auf allen Ebenen übte er unterschiedliche Tätigkeiten in technischen Berufen aus, sei es in der Konstruktion, in der Architektur, im Innenausbau. In Deutschland gewann er einen Preis im plastischen Gestalten und lebt seit einigen Jahren als freischaffender Künstler in Olten.

Es ist nicht leicht, sich von ihm als Künstler ein ganzheitliches Bild zu machen, das ihm in seiner Vielschichtigkeit gerecht wird. Er arbeitet sehr strukturiert, analytisch und liebt raffinierte Vernetzungen. Der Augenblick des Erkennens einer formalen Grundstruktur fesselt ihn ebenso wie der Gedanke, dass gerade diese Struktur sich ein paar Orte weiter verändert, auflöst, ständig in Bewegung ist. Bei seinen architektonischen zeichnerischen Arbeiten, in denen er Kirchenräume als spannende Räumlichkeiten in raffinierte Teile zerlegt, sei es nun dreidimensional wie bei seinen in Kisten verpackten Kleinobjekten, oder auf dem Papier, sucht er nach Zusammenhängen der Grundflächen, hebt auf, schafft eine Öffnung, die sich in der gleichen Grössenordnung ein paar Orte weiter wieder am Boden als Motiv sichtbar macht. Er arbeitet mit dem Dreieck, mit dem Quadrat und dem Rechteck, zeichnet Vertikalen und Diagonalen, aber auch verbindende Linien allgemein, die sich auf ganz bestimmt gesetzte Fixpunkte ausrichten und für ihn eine mystische, philosophisch geprägte Aussage haben. Er entwickelt ein raffiniertes Rastersystem, bemisst, wägt ab, schafft Verbindungen wie ein Mathematiker und überlässt in diesen Arbeiten nichts dem Zufall. Ein Mandala (Labyrinth) nimmt die Form des grossen Rundfensters in der Kathedrale von Chartres auf, Perspektiven erlauben tiefe Einblicke, man taucht ein in Räume und wird zugleich durch die Linienführungen wieder aus ihnen herausbefördert. Die exakte Schönheit des konstruktiven Aufbaus eines Elementes begeistert ihn, auch der Zusammenhang von formalen Parallelen, die sich verändern lassen, zu einem Ganzen zusammengefugt werden können, zu einem Kreis, einem Quadrat, sich dann aber auch wieder auflösen, nicht diffus, sondern sehr präzise durchdacht, sodass alles als eine geschlossene Einheit empfunden wird.

Leidenschaftlicher Zeichner

Von Bedeutung sind seine Zeichnungen und grafischen Blätter, die viel mit architektonischen Formulierungen zu tun haben, mit Kreationen, geprägt von augenblicklicher Dynamik. Ganzheitlichkeit im Denken, im Ausführen von zeichnerischen Arbeiten ist ihm wichtig, auch ästhetische und ethische Zusammenhänge berühren ihn. Ständig wechselt Jacquy Neukomm seine Position, bald erkennt man eine Pyramide, in sich geschlossen, dann explodiert die Form, ein kraftvoller Ausbruch entsteht und daraus heraus schält sich ein Vogel, Phönix aus dem Feuer, der sich im offenen Raum seine Freiheit sucht. Nebst diesen Zeichnungen, die er in minutiöser Feinarbeit berechnet, aufteilt, gliedert, bald im Raster eines Leonardo da Vinci, dann wieder nach eigenen Vorstellungen, liebt er auch das freie Zeichnen, den leichten Strich, die Bewegung. Deshalb ist es kein Zufall, dass er eine besondere Leidenschaft zum Tanz hat.

In Ursula Bergers Tanz-Atelier und an ganz bestimmten Tanzaufführungen sitzt er in einer Ecke oder ganz vorne im Raum, klein und unscheinbar, über seinen Zeichenblock gebeugt, und zeichnet. Doch nicht ruhig betrachtend, sondern in unglaublich raschen vogelartigen Kopfbewegungen, in einem fast unheimlich wirkenden Auf und Ab fängt er eine Figur ein, haucht er der Bewegung innerhalb eines Augenblicks Leben ein, spielt mit Linien, Horizontalen und Vertikalen, arbeitet dunkler in fast wilden Schraffierungen und kreiert eine oder mehrere Silhouetten heraus, tanzende Figuren. Sie scheinen sich zu bewegen, heben Arme und Beine, stehen auf Fussspitzen, rotieren, liegen in sich gekauert auf dem Boden, um ein paar Schritte oder Striche weiter als erhobene Figur vom Raum Besitz zu ergreifen. Durch die lebhafte zeichnerische Schraffierung, durch die gebündelten und sich wieder auflösenden Striche erhält die Dynamik der Bewegung eine einzigartige Ausstrahlung.

Liebe zum Tanz

Tanz bedeutet ihm viel, weil Bewegung auch mit seiner Philosophie über das Leben etwas zu tun hat. Für Jacquy Neukomm ist alles fliessend, auf Vergänglichkeit ausgerichtet, vom Augenblick des Geschehens bestimmt und löst sich ein paar Augenblicke später auf, verändert sich, und was bleibt, ist oft nur ein kleines erfassbares Detail. Doch der Vorgang des Machens, des Zeichnens, des Einfangens einer bewegten Situation ist voller Zauber, voller Leidenschaft und verursacht ihm, wie er so schön zu sagen pflegt, Hühnerhaut, weil er dank seiner Sensibilität auf eine tiefe Art erkennt, dass die ganze Schönheit des Erkennens eines Dings, einer Sache nur in einer solch flüchtigen Momentaufnahme liegt. Er spielt mit Körpern und ist doch streng darauf bedacht, sie in eine Verhältnismässigkeit zu bringen, die aufzeigt, dass auch ein Körper, sei er nun in Bewegung oder nicht, seine eigenen Gesetzmässigkeiten hat. Betrachtet man die Fülle seiner Blätter, so fragt man sich unweigerlich, warum tut er sich das an, während Stunden tanzenden Figuren zuzuschauen, sie zu zeichnen, mit seinem Zeichenstift einzufangen, und zwar in einer unglaublichen Art von Besessenheit, als gelte es jede Bewegung einzeln in ihrem Ablaufsichtbar zu machen? Und dies erst noch in einem unglaublichen Tempo, in der Schnelligkeit des Geschehens, so als müsste er mir der tanzenden Figur mit seinem Zeichenstift gleichzeitig ankommen, am Ort des Abschlusses, der zugleich auch wieder ein Anfang ist. Eine Antwort zu finden ist nicht leicht, er liebt Sequenzen, rasch wechselnde Abläufe. Fragmentartig peilt er Bewegungsabläufe an, wechselt er den Blickwinkel, die Richtung, als gäbe es nie nur einen Ort, an dem man ankommen könnte, sondern viele. In der gleichen Art spricht er mit anderen, pflegt er den Dialog: in Bruchstücken, in Sätzen, die weit ausholen und dann plötzlich abbrechen.

Zeit ist relativ

Faszinierend sind seine dreidimensionalen Arbeiten, seien es die Vögel aus Aluminium oder auch andere Skulpturen im öffentlichen Raum wie jene Figurengruppe im

Atrium des Stadthauses in Olten. Seine Vögel, mehrere an der Zahl, sind von ganz unterschiedlicher Ausstrahlung. Sie setzen zum Flug an, befinden sich in der Schwingung, schweben und suchen Orte für einen Landeplatz. In der Ausstellung in der Stadtkirche in Olten im September 2011 kamen diese Vögel, acht an der Zahl, grossartig zur Wirkung und nahmen auf geheimnisvolle Art vom Kirchenraum Besitz. Sie strahlen Lebendigkeit aus. Schwingen und Kopf mit Schnabel sind eigentlich nur eine gewellte Form, ein bandartiges Gebilde, das sich je nach Lage zu verändern scheint. Ein fassbares Ding, das formal geortet werden kann und sich doch ständig verändert, so wie das Leben selbst.

Zeit ist für Jacquy Neukomm ein relativer Begriff, den man nie allgemein gültig definieren kann. Wichtig ist, dass man den Augenblick erkennt und daraus etwas Ganzheitliches schafft, das seine Nachhaltigkeit hat. Dies erkennt man auch in seinen Kleinobjekten oder in seinen reliefartigen Bilderkästen. Hier arbeitet er minimalistisch mit unterschiedlichen Materialien. Das Malerische ist weniger wichtig, von Bedeutung ist der Aufbau der Elemente. Kleine Figuren im begrenzten Raum, oder die Aufgliederung einer Kathedrale mit all ihrem Innenleben, an dem man auf eine besondere Art teilhaben kann. Man erkennt genau berechnete Aufteilungen sowie ein Architekt sie zu gestalten hat, bevor er mit dem Bau eines Objektes beginnt. Solche Gliederungen und Aufteilungen von Formen und Elementen reizen ihn, weil er sie schliesslich wieder zu einem Ganzen zusammenfügen kann, dies im Bewusstsein, dass die Dinge nur so ihre Ordnung haben. Er ist ein grosser Ästhet, der viel Sinn für Harmonien hat, für Ethik, für ökonomische und ökologische Zusammenhänge und ihre Auseinandersetzungen, der aber auch weiss, dass jede Harmonie zerstört werden kann, wenn man mutwillig ein Element in ihr verändert.